Unschuld verloren!

Wilhelmsfeld - Heidelberg - Bammental (23 km)

   In der Pension Sonnenhügel wird hart kalkuliert. Der normale Deutsche isst zum Frühstück zwei Brötchen. Basta! Für diese zwei Brötchen braucht der normale Deutsche etwas Marmelade, eine Scheibe Käse und eine Scheibe Schinken. In der Kaffeekanne ist Kaffee für zwei Tassen, wobei die zweite Tasse ja nicht unbedingt voll werden muss. Das stellt man dem Gast incl. kleinem Zimmer zu einem ordentlichen Odenwald-Preis in Rechnung und hat sein gutes Auskommen. Und wenn man sich beim Frühstück des Gastes noch für ein Quätschen dazugesellen kann, dann hat das Ganze auch noch seinen persönlichen Unterhaltungswert.

   Im Frühstücksraum hängt ein großes Foto vom 15jährigen Enkelsohn, full in action beim Eishockey. Er sei einer der Hoffnungsträger von Adler Mannheim. “Für besondere Spiele oder Trainingseinheiten bekommt der Junge schulfrei, ohne Probleme. Im Moment hat er ja 'ne Riesenwut, weil die erste Mannschaft in den Play-offs zur deutschen Meisterschaft gegen die Kölner rausgeflogen ist.“ (Ich verschweige lieber, wo ich herkomme.) “Der Junge ist eigentlich ganz klein und lieb, aber im Spiel haut er drauf wie auf kalt Eisen. - Außerdem hat ja auch der Otto Höpfner hier gewohnt, der Fernsehwirt vom “Blauen Bock“. Kennen Sie den noch? Der hat hier in Wilhelmsfeld gewohnt, ganz hier in der Nähe. Einmal ist er mal wieder zu mir gekommen und hat gesagt, Böhmerin, hat er gesagt, wenn ich aus Spanien zurückkomme, bringe ich dir einen Arm voll Sonne mit. Ja, und als er zurückkam, lag er im Sarg. Und an schönen Abenden hat er gesungen und es klang durch den ganzen Talkessel. Manchmal hat er das Ave Maria gesungen. Hach, ich kriege jetzt noch 'ne Gänsehaut, wenn ich daran nur denke. Nee, nee, das war so ein netter, bescheidener Mann, wir mochten ihn alle so gern.“ - Ob Gottschalk oder Jauch auch abends auf dem Balkon stehen und singen?

   Der heutige Tag wird unter den bequemen Tagen abgeheftet werden. Über einige Kilometer fällt der Weg von Wilhelmsfeld ins Neckartal hinab. Der E1 zieht eigentlich hinunter nach Ziegelhausen, lässt Heidelberg sozusagen rechts liegen. Ohne mich, ich will nach Heidelberg! So suche ich mir mal wieder mit stetigem Blick auf die Wanderkarte meinen eigenen Weg, der auch wunderschön zu gehen ist.

   Kurz nach der Höhengaststätte “Weißer Stein“ allerdings eine Schrecksekunde: Über dem Waldweg spannt sich ein rotweißes Flatterband, davor steht ein Schild: “Durchgang verboten! - Forstarbeiten - Lebensgefahr!“ Ich höre und sehe zwar nichts, was diese Vollsperrung rechtfertigt, trotzdem traue ich mich nicht, diesen strengen Hinweis zu ignorieren. Auch wenn mir nicht unbedingt ein Baum auf den Kopf fallen wird, so können doch Fällarbeiten hier stattgefunden haben und Stämme liegen noch quer über dem Weg. Und damit habe ich ja schon so meine Erfahrungen gemacht, das brauche ich jetzt nicht. Ein Blick auf die Karte zeigt mir, dass der Trampelpfad links von mir auf einen Parallelweg stößt, der mich genauso weiterbringt. Also, was soll's! Als ich den Parallelweg erreiche und auf ihm weitermarschiere, erkenne ich recht bald, dass in der Tat in der Nadelwaldparzelle rechts von mir gut gearbeitet wurde. Dicke Stämme stapeln sich entlang des Weges, Äste und Zweige liegen noch herum, es riecht gewaltig nach Harz.

   Um die Mittagszeit überquere ich den Neckar nahe der Altstadt. So langsam kann ich schon beginnen abzuhaken: Ich komme von der SIEG, habe die LAHN und den MAIN bereits überschritten, jetzt ist es der NECKAR, in Basel wird es der RHEIN sein. Alles verläuft nach Plan.

   Ich gebe zu, mein Plan, über Heidelberg zu gehen, hat noch einen extrem praktischen Grund, und ich muss jetzt nochmal den Spruch bringen, den ich schonmal bemüht habe. Man muss nicht alles nehmen, was kommt, aber wenn es kommt, soll man es auch nehmen. Und in Heidelberg kommt 'ne BERGBAHN! Was soll ich sagen... die Pilger im Mittelalter haben auch mal eine Kutsche genommen, wenn sich die Gelegenheit bot. Der Weg wäre heute sowieso schon recht lang, dazu der mehr als happige Aufstieg zum Königsstuhl, ich käme nicht so spät am Etappenziel an, könnte ein paar Bilder hochladen, in Ruhe den Blog schreiben... und überhaupt. Warum rechtfertige ich mich hier überhaupt? Ich fahre mit der Bergbahn - und das ist gut so!

   Gemütlich zockelt die historische Bahn immer höher den Königsstuhl hinauf und verschafft mir einen Blick auf Heidelberg aus der Vogelperspektive. Am Haltepunkt “Schloss“ sind nahezu alle Fahrgäste ausgestiegen, am Umsteigehalt “Molkenkur“ finden sich nur eine Handvoll Menschen, die ganz nach oben fahren. Die Aussicht von oben ist grandios, bis weit ins Rheintal geht er. Doch selbst in dieser Höhe ist es warm, fast drückend. Der Himmel ist auch nicht mehr so strahlend blau wie an den letzten Tagen. Ist das Wetter dabei sich umzustellen?

   Nach Heidelberg ging es noch vor einer Stunde für mich wohltuend bergab - und jetzt schon wieder! Phänomenal! Nicht nach Heidelberg natürlich, sondern nach Gaiberg. Unterwegs geht mein Blick manchmal weit nach Süden. Die Höhen vor mir nehmen sich jetzt harmloser aus, ich verlasse den Odenwald und komme in den Kraichgau.

   Als ich nach Gaiberg hineinkomme, treffe ich am Ortseingang auf einen  Brunnen mit einem kleinen Teich davor. Der gesamte Teich ist behelfsmäßig mit einem etwas dickeren Bindfaden umbunden, man könnte auch “abgesperrt“ dazu sagen. Hier vollzog sich praktischer Naturschutz in seiner ganz rührenden Art. An dem Bindfaden hängen, mit Wäscheklammern daran befestigt, mehrere Klarsichthüllen mit Zetteln, von Kindern bemalt und beschriftet. “Achtug! Hier isst Leich! Da kommen bald frösche!“ - “Finger weck vom Teich! Passen Sie auf!“ - “Bitte achten sie auf unsere Plakarte und noch viel mer, helfe das die Frösche balt nachwuchs bekomme!“ Herrlich, oder?

   Von Gaiberg ist es nicht mehr weit bis zum heutigen Etappenziel Bammental. Der Ort ist keine touristische Offenbarung, hat für mich aber vier Highlights zu bieten. Zuerst mal treffe ich sofort auf der Hauptstraße eine Buchhandlung, die für mich die nächstfolgende Wanderkarte  bereithält. Meine jetzige reicht noch für zwei Tage. Hundert Meter weiter liegt alles unmittelbar zusammen: die Sparkasse, die ich leider wieder “heimsuchen“ muss, der Supermarkt, um meine Lebensmittelvorräte aufzufrischen, und mein Hotel.

   “Hotel“ hört sich nun mehrere Nummern zu groß an. Es ist sehr einfach, aber von einem jungen griechischen Ehepaar mit viel Liebe geführt. Und das sage ich nicht nur, weil es hervorragenden WLAN-Anschluss gibt, sondern immer auch ein strahlendes Lächeln und Erdnüsse und eine Flasche Bier auf Kosten des Hauses.

 

 Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmWjY2Ni1ERHZfVTA/

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Sebastian (Donnerstag, 03 April 2014 23:42)

    Die Griechen :-) Lass dich gut verköstigen!

  • #2

    Der Kronprinz (Freitag, 04 April 2014 17:14)

    Da säuft der sich schon wieder umsonst durch...


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